Das Blutbad

Manche Gesprächspartner fragten mich, wie oft ich schon gebissen worden wäre. Diese Frage war verständlich, da ich doch mit sehr vielen Hunden zu tun hatte. Dabei blickten sie auf meine Arme und Hände. Sieht man irgendwo Narben? Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass ich noch nie gebissen worden wäre – jedoch machte ich, trotz größtmöglicher Vorsicht, schon schmerzvolle Erfahrungen mit den Zähnen von Vierbeinern. Ich kann die Beißvorfälle jedoch noch an einer Hand abzählen, sofern ich das nachstehende „Blutbad“ nur als einen Vorfall rechne.

An Orten, wo viele Hunde gehalten wurden, kam es sehr selten zu Bissverletzungen bei Menschen. Der Profi schätzte das Risiko immer gut ein und traf Sicherheitsvorkehrungen. An oberster Stelle stand, dass kein Tierbetreuer verletzt wird und damit krankheitsbedingt ausfällt. Bestand Beißgefahr, wurde das Tier in einem entsprechenden Zimmer gehalten. Musste am Tierkörper gearbeitet werden (z. B. Tierarztbehandlung oder Fellpflege) verwendete man kurz einen Maulkorb.

 

Im Laufe der Jahre war ich Eigentümerin von über einem Dutzend großen Hunden. Nicht alle waren leicht führbar. Mein allererster Hund, DINO, stand ein einziges Mal sogar knurrend über meiner Kehle. Ich reagierte in dieser Situation, aus dem Bauch heraus, richtig. Nachdem ich die Rangordnung klarstellte, kam es nie wieder zu so einem Vorfall. Meinen vielen eigenen Hunden vertraute ich immer und wurde von diesen auch nie enttäuscht. Niemals hatte einer meiner privaten Hunde einen Menschen gebissen. Ein blutiger Biss hätte für sie fatale Folgen gehabt. Der Beißer hätte nicht mehr ungeschützt mit anderen Menschen in Berührung kommen dürfen. Wollte ich solch ein Tier besitzen? Wahrscheinlich spürten meine eigenen Hunde mein Denken.

 

Delogierung bei Haushalt mit mehreren Tieren

 

SONNTAG - Wochenende! Das hieß, auch ich konnte es mal ruhiger angehen. Kein Kommen und Gehen von Hotelgästen, keine Besichtigungen, kaum Telefon oder schriftliche Korrespondenz. Zu der Polizei und der Tierrettung, hatte ich einen guten Draht. Obwohl das nicht unser Job war, halfen wir manchmal bei Tierbergungen oder Unterbringung von Hunden und Katzen. Deswegen war es nicht ungewöhnlich von Beamten oder anderen Organisationen angerufen zu werden. Grade an gesetzlichen freien Tagen waren die Tierheime schwach oder gar nicht erreichbar. Gut, dass es meinen Betrieb gab - irgendwer war dort immer. 

 

Die Polizei rief an einem Sonntag an: „Es steht morgen eine Delogierung im Tennengau an. Für die Familie gibt es bereits eine neue Wohnung, in der aber keine Haustiere erlaubt sind. Es ist ein Messi-Haushalt mit zwei Erwachsenen und fünf Kindern, welche auf 60 m2 leben. Dort leben eine Unmenge an Tieren (sieben Rottweiler, unzählige Katzen, Vögel, Hamster und Reptilien). Wegen bestialischem Gestank beschweren sich laufend die Nachbarn. Für die Vögel, Hamster und Reptilien haben sie bereits eine Unterbringung. Bei den Hunden und Katzen brauchen sie noch wen. Könnt ihr irgendwelche der Tiere aufnehmen?

 

Rottweiler Welpen konnten wir aufnehmen

 

Auf eine größere Anzahl von ungeimpften Katzen, Vögeln, Hamstern und Reptilien waren wir nicht ausgerichtet bzw. hatten wir auch zu wenig Erfahrung. Aber Rottweiler könnten wir aufnehmen – wir bräuchten dazu nur mehr Infos. Die Amtsträger informierten sich im Hintergrund und kurze Zeit später wurden die beiden erwachsenen Rottweiler als höchst aggressiv beschrieben.

 

Sie hätten für den Rüden bereits einen Platz gefunden. Die Mutterhündin und die fünf Welpen (elf Wochen alt) wären noch zu versorgen. Für ein aggressives großwüchsiges Muttertier, welches ich noch nie gesehen hatte, wollte ich nicht die Verantwortung übernehmen. Die fünf Welpen konnte ich problemlos nehmen. Es wären ja nur unbedarfte Welpen. Nach nochmaligem Telefonat wurde mir mitgeteilt, dass die Kleinen am nächsten Tag direkt von der Eigentümerin gebracht werden, welche dann auch den Aufnahmevertrag unterschreiben würde. Mit diesem Vertrag wäre ich rechtmäßiger Eigentümer und konnte schöne neue Zuhause suchen. 

 

Am nächsten Tag wankte abends eine extrem schwergewichtige, betrunkene Frau samt Ehemann und zwei Kindern herein und wir übernahmen die Welpen. Geplant war, dass erst am nächsten Tag Fotos, Beschreibung und Video veröffentlicht werden. Obwohl ich alles Schriftliche binnen 10 Minuten abhandeln konnte und danach gleich im Besucherbereich lüftete, stank es fürchterlich im ganzen Erdgeschoss. Der Geruch ging von den Welpen aus.

 

Sie hatten auf der Fahrt erbrochen und eine Mischung aus Nudeln und Wurstresten hing noch im Fell. Das war die obere Schicht des Schmutzes. Im Fell roch es irgendwie süßlich und grausig. Unsere weißen Kittel, mit denen wir die Welpen nacheinander reingetragen hatten, waren braun und ebenfalls stinkend. Ich war bestimmt nicht geruchsempfindlich, aber mir wurde regelrecht übel.

 

Das war nicht mein Level

 

Am nächsten Tag wurden Kunden erwartet. Den Gestank konnte ich weder denen, noch meinem Team oder mir zumuten. Wir mussten sofort baden. Welpen zu baden war für mich Routine. Das Wasser der Brause fein temperieren, kleines Wesen in Wanne setzen, ordentlich nass machen, shampoonieren, nochmal nachschäumen, abbrausen bis alles Shampoo aus dem Fell gewaschen ist – abtrocknen – fertig. Ich konnte bislang sowas immer locker alleine. Bestückt mit dem nötigen Zubehör ging ich motiviert zum Gruppenzimmer "VIER", in welchem eine abgestufte Hunde-Badewanne eingebaut war. 

 

Ich betrat das Zimmer der Welpen. Trotz der argen Verschmutzung waren diese Babys sehr niedliche Wesen. Das Häufchen Elend, bestehend aus fünf Rottweiler-Welpen, kauerte gesammelt, zitternd und stinkend im Eck. Ich ging einen Schritt auf sie zu. Manche schrien ohrenbetäubend - die anderen knurrten. Was hatten die armen Kleinen bloß erlebt, dass sie dermaßen durchdrehten? Ich stand zwei Meter von den Welpen entfernt und sie schrien, als ginge es um ihr Leben.

 

Einige Minuten verharrte ich vor ihnen, in der Hocke. Wenn ein elf Wochen alter reinrassiger Rottweiler-Welpe, drohend seine Milchzähnchen zeigt - sieht das irgendwie drollig aus. Ich wollte sanft den ersten Badegast aus der Gruppe holen. "SCHNAPP" - das war der erste, stark blutende, Biss in meine Hand. Das hieß, so routinemäßig locker würde das Baden nicht möglich sein. Alleine arbeiten schon gar nicht. Abwarten, bis die Welpen vertrauter werden ging auch nicht, denn wie beschrieben, zog sich der Gestank durch absolut alle Räume. Oder bildete ich mir das ein? Ich hatte den Geruch jedenfalls "in der Nase".

 

Gemeinsam sind wir stark

 

Ein kräftiger Team-Mitarbeiter musste her. Wir arbeiteten nun zu zweit in bissfesten Gummistiefeln nach dem Motto: Geht nicht - gibt es nicht! Aus der Leine wurde eine Schlinge geformt, diese als Lasso verwendet und das erste Badeunwillige rausgezogen. Der Mitarbeiter fing und hielt mit der Hand das Mäulchen zu. Einen Maulkorb wollte ich den, in der Prägungsphase befindlichen, Welpen nicht auch noch antun. Ich hob das Kleine in die Wanne, brauste und trocknete. Das klingt so einfach – war es aber nicht.

 

Die Kraft der widerwilligen Welpen hatte ich unterschätzt. Kaum entkam das Schnäuzchen dem Griff - wurde gebissen. Nach jedem Welpen machten wir Menschen eine Pause und verarzteten unsere Verletzungen. Die weiße Grundfarbe der Badewanne und den Fliesen wich, durch das menschliche Blut, einem tief- und rosarot. Als wir endlich fertig waren, sah der Raum aus, als hätte ein Massaker stattgefunden. Mensch und Tier waren völlig erschöpft. Wir hatten das Ziel erreicht: Meine Beißerchen dufteten nun wie Butterblümchen und ihr Fellchen war wunderschön glänzend. Wir Tierbetreuer hatten unzählige Pflaster an den geschwollenen Händen und Armen.

 

Schlecht geprägte Welpen bleiben Problemhunde

 

Es spielte keine Rolle, um welche Rasse es sich handelte. Falls in der Prägungsphase eines Welpen etwas falsch lief, merkte sich das ein Hund sein Leben lang. Er würde immer ein Problemhund bleiben. Da konnte auch der beste Hundetrainer nur eingeschränkt helfen. Völlig rausbringen konnte man das, als Welpe erlernte, Fehlverhalten nicht. Meine Erfahrung zeigte mir: Je früher etwas Schlimmes passierte – desto schwieriger konnte man den Hund umpolen. Schlecht geprägte Hunde waren generell problematisch. Jedoch spielte es eine große Rolle, ob man, zum Beispiel, einen bissigen Chihuahua oder eine große Dogge besaß.

 

Rottweiler sind Listenhunde

 

Rottweiler hatten grundsätzlich ein angenehmes Wesen. Sie arbeiteten gerne, waren kinderliebend, freundlich, recht anhänglich, gehorsam und bellten wenig. Ein Rottweiler regte sich nicht so leicht auf, sondern war sehr nervenfest und zuverlässig. Es gäbe hier bestimmt noch viele andere positive Eigenschaften zu benennen. Ich durfte einige angenehme sowie schwierige Rottweiler als Hotelgäste betreuen.

 

Man muss leider erwähnen, dass Rottweiler, meines Erachtens auch zu Recht, auf sogenannten „Rasselisten“ standen. Hierzu gab es verschiedenste Studien, die besagten, dass Rottweiler vermehrt an tödlichen Hundeangriffen beteiligt waren.  Diese Listenhunde durften, wenn überhaupt, nur unter strengen Auflagen gehalten werden und wurde oft, seitens der Gemeinden, eine hohe Hundesteuer gefordert.

 

Selbstsichere Rottweiler waren stämmige, große, kräftige, wachsame, imposante, aufmerksame Hunde, die den Job als Wachhund daher hervorragend ausübten. Das kraftvolle Gebiss und der kräftige Körperbau sahen beeindruckend aus. Wer einen Rottweiler hatte, konnte sich sicher sein, dass etwaige Einbrecher dadurch abgeschreckt werden würden. Weiters waren sie sehr arbeitsfreudig und gehörten daher zu der Gruppe der „Gebrauchshunde“. Im Bundesheer und bei der Polizei fand man daher u. a. auch Rottweiler als Diensthunde, weil sie nervenfest und unerschrocken waren.

 

Die kleinen Männer

 

Bei richtiger Führung, von Liebhabern dieser Rasse, waren Rottweiler auch als Familienhunde wunderbare Gefährten. Da gab es allerdings auch die Gruppe der „kleinen Männer“ - damit meinte ich nicht dessen Körpergröße. Diese waren stolz, einen Teufel an ihrer Seite zu haben. Das Zähnefletschen und Knurren wurde belohnt. Andere Menschen sollten ihn bewundern, dass nur er mit dem gefährlichen Hund umgehen konnte. Der Hund sollte sie beschützen.

 

Interessanter Weise lernte ich nur Männer kennen, die so dachten. Je negativer sein gefährlicher Hund fremden Menschen begegnete, desto besser. Der „kleine Mann“ fühlte sich mit dem Teufel wichtiger und stärker. Natürlich ging das in den allermeisten Fällen schief und der Eigentümer wurde seines Tieres in weiterer Folge nicht mehr Herr. Bestenfalls fanden solche Hunde dann Aufnahme in einem Tierheim. Das Thema des „kleinen Mannes“ fand sich nicht nur bei Rottweilern, sondern bei allen potenziell „bösen“ Hunden.

 

Vergabe sehr schwierig

 

Nun hatten wir, vom Aussehen her, sehr rassetypische schlecht geprägte Rottweiler-Welpen. Ahnentafel gab es keine, sondern entstand der Wurf durch die hauseigenen Rottweiler des Messi-Haushaltes. Dort dürfte es mit den vielen Kindern und anderen Tieren schlimm zugegangen sein. Genaueres zu der Vorgeschichte wurde mir nicht mitgeteilt.

 

Unsere Rottweiler-Welpen fürchteten sich extrem vor Menschen. Einzelne Fotos oder ein Video zu veröffentlichen war undenkbar. In ihrer Welpen-Gruppe waren sie besonders „stark“. Um das Verhalten zum Menschen zu verbessern, war eine Trennung unumgänglich. In dem knurrenden, beißenden Welpen-Rudel-Verband würden wir wenig ausrichten können. Daher verteilte sie auf das ganze Haus. Einen der schlimmsten Rottweiler nahm ich mir an der langen Leine ins Büro. Die ersten Tage verliefen unbeschreiblich. Da war überhaupt kein Vertrauen da. Bei zwei der Welpen war es sogar so: Wenn man es nur ansah und noch zwei Meter entfernt war, schrie es lauthals, als ginge es ums Leben.

 

Meine eigenen Hunde und die Hotelgäste halfen bei der Erziehung und nach etwa einer Woche konnte ich jeden Welpen wenigstens vorsichtig hochheben und fotografieren. Auch konnte ich sie wieder als zwei Paare und eines einzeln in meinen Hundegruppen halten.  

 

Sehr schnell Zuhause finden

 

Die Kleinen waren nun exakt 13 Wochen alt und damit nicht mehr ganz so jung. Es war sehr wichtig schnellstens neue Zuhause zu finden. Wo sah ich sie in meiner Phantasie? Als Wachhund, Diensthund oder Familienhund? Letzteres kam garantiert nicht in Frage. Es mussten unbedingt erfahrene Hundehalter sein. Mit Kindern auf gar keinen Fall.

 

Auf der Homepage wurden die Welpen exakt beschrieben. Dass sich keine „kleinen Männer“ melden sollten, konnte man zwischen den Zeilen gut lesen. Ich hatte die Polizei und das Militär im Auge. Auch kämen diese Welpen für Autohöfe und ähnliche Einrichtungen, wo Wachhunde benötigt wurden, in Frage. Mein Telefon lief heiß. Binnen einer Woche fand ich für alle einen passenden Platz. Drei Hunde wurden als Wachhunde verkauft und zwei Polizisten nahmen sich privat jeweils einen.

 

Viele unbedarfte Tierschützer waren der Meinung, einen Hund als Wachhund zu vergeben, wäre schlecht. Alle Hunde sollten in Wohnzimmern mit Familien leben dürfen. Schöne Ausflüge sollten gemacht werden und der Hund kaum allein gelassen werden. Autohöfe, wo die Nacht zum Tag gemacht wird, wären kein gutes Zuhause. Das sah ich völlig anders. Der Inhaber und die Mitarbeiter eines Autohofes konnten mit den, tagsüber gesicherten, gefährlichen Hunden gut umgehen. Die meisten Hunde lebten nicht alleine in einem Zwinger, sondern gab es mehrere Arbeitshunde. Diese wurden sehr gut versorgt, auch weil sie einen wichtigen Job hatten. Bei Arbeitsende wurden die Hunde rausgelassen, die dann die Autos bestens bewachten. Bei Arbeitsbeginn wurden diese wieder versperrt. So war jedem geholfen. Eine bessere Alarmanlage, als wachsame Hunde auf der Anlage laufen zu lassen, gibt es nicht.

 

Es kam keine einzige Rückmeldung über Probleme mit den jungen Rottweilern. Wichtig war, dass wir die geeigneten Plätze gefunden hatten und alle „kleinen Männer“ freundlich abwimmelten. Es gibt wahrlich schwierige Rassen, die für z. B. Hundekämpfe gezüchtet wurden und das daher in ihren Genen haben. Aber dazu zählt die Rasse Rottweiler nicht. Nur „kleine Männer“ verursachten, dass das nun Listenhunde sind.