„Unsere SUSI muss sofort weg!“, erklärte mir telefonisch der aufgeregte Besitzer. Die Hündin wäre als Welpe gekauft worden und nun wegen Umzug eine Haltung nicht mehr möglich. Weiters war eine berufliche Veränderung geplant. Noch dazu reagierte eines ihrer Kinder allergisch auf Hundehaare. Es wurden mehrere typische Abgabegründe genannt. SUSI sollte aber nicht in ein Tierheim (das brächten sie nicht übers Herz) und so fragten sie mich. Ich bat um zwei aktuelle Fotos und erfragte die wichtigsten Eckdaten. Es schien mir nicht schwierig, für eine dreijährige, verträgliche, kanadische Schäferhündin ein neues Zuhause zu finden.
Wir nahmen SUSI auf
Ich erklärte mich bereit, ihre Hündin noch am gleichen Tag in mein Eigentum zu übernehmen. Die Aufnahme von SUSI gestaltete sich ungewöhnlich kurz, da die Abgeber wohl wenig Zeit hatten. Sie mussten dringend wieder zurück, in den tiefsten Westen Österreichs, fahren und hätten dort weitere berufliche Termine. Es wurde der vorbereitete Aufnahmevertrag unterschrieben, Personalausweis vorgelegt, Aufnahmegebühr bezahlt, noch etwas Futter dagelassen und mir wurde die Leine in die Hand gedrückt. Der wenig emotionale Akt der Aufnahme dauerte nur fünf Minuten. Es war seltsam, dass die Tierbesitzer sich so locker von ihrem Tier trennten. SUSI war doch drei Jahre ihr Familienmitglied gewesen? Üblich und verständlich war mir, wenn ein Aufnahmetier noch ein letztes Mal umarmt wurde und meistens flossen bei der Abgabe auch Tränen. Hier war das überhaupt nicht der Fall.
Bei der Aufnahme von SUSI hatte ich das Gefühl, dass die Besitzer sehr erleichtert waren, die Hündin regelrecht "los zu werden". Mir kam das Sprichwort in den Sinn: "Harte Schale - Weicher Kern". Es gab eben Menschen, die wenig Regungen zeigten. Vielleicht war das auch hier der Fall? Die extrem gefühlskalte Aufnahme von SUSI war aber sehr ungewöhnlich, sodass ich mich auch fragte, ob denn die vielen genannten Abgabegründe tatschlich der Wahrheit entsprachen. Stimmten die Angaben? Was hatte diese Hündin angestellt? Warum reagierten die Abgeber dermaßen gefühllos? Wie auch immer. Nun war SUSI in meinem Besitz und ich würde das Verhalten feststellen.
Eine traumhaft schöne Hündin
Mit einer Schulterhöhe von 65 cm und 38 Kilo Gewicht war SUSI eine übergroße kanadische Schäferhündin. Sie sah, mit ihren bernsteinfarbenen Augen und schlohweißem Fell, fast wie ein Gemälde aus. Sie war die schönste kanadische Schäferhündin, die ich je gesehen hatte. Sie hatte auch eine hervorragende Ahnentafel und war bestens geimpft. SUSI war weder zu dick – noch zu dünn und hatte ein sehr gepflegtes Fellchen. Eine traumhaft hübsche Venus in weiß.
Die Grundkommandos beherrschte SUSI perfekt. Man konnte sie an der Leine am "kleinen Finger" führen. Sie blieb bei dem Kommando "Platz" liegen, sie setzte sich sofort bei "Sitz", sie kam auf Rufen und war freundlich. Ich testete sie mit anderen Hunden. Man konnte SUSI in jedes Rudel integrieren. Ob es große oder ganz kleine Hunde waren - sie vertrug sich ausgezeichnet mit ihren Artgenossen. Uns war vom Vorbesitzer mitgeteilt worden, dass sie sehr kinderfreundlich war und auch mit Katzen keine Probleme hatte. SUSI war eine ausgeglichene, lebhafte, wesensstarke, sanftmütige, verspielte, anhängliche und gelehrige Hündin. Ich fand hier überhaupt keinen Makel. Kurzum: Eine perfekte, sehr wohlerzogene, brave Hündin. Üblicher Weise ging ich bei Aufnahmehunden davon aus, dass irgendwelches körperliches oder erziehungsmäßiges Manko vorlag, an dem ich arbeiten müsste. Hier war das nicht so. Nix mit ursprünglich geplanter Schülerin – sie war perfekt und könnte zeitnah in den "Vergabetier-Modus".
Ein paar Tage Aufenthalt für jeden Hund
Um meine Schützlinge besser kennen zu lernen, behielt ich Hunde gerne wenigstens drei Tage auf meiner Anlage. Hunde wurden generell erst nach geraumer Zeit „warm“ und es zeigte sich manchmal erst dann ihr wahrer Charakter. So verhielt es sich auch bei meiner Schönheit, die ich, aufgrund ihrer Fellfarbe, manchmal liebevoll "Waschpulver" (weißer Riese) nannte. Die ersten zwei Tage und Nächte blieb SUSI brav in dem ihr zugewiesenen Zimmer 2 mit den größeren Hunden. Am dritten Tag fing das Drama an: Wo war SUSI? Ich fand sie anstelle im Zimmer 2 – im Zimmer 3, mit drei anderen größeren Hunden bei geöffneter, ungesicherter Terassentür. Ich fragte im Team, ob sie denn irgendwer vielleicht umgesetzt hätte. Hatte jemand die Tür geöffnet und übersehen diese mit Haken zu sichern? Nein. Hmmm – egal. Sie vertrug sich ja mit allen. Ich gab die Anweisung: "Dann lassen wir sie eben im Zimmer 3. Vielleicht gefallen ihr da die Spielgefährten besser."
Kopfzerbrechen bereitete mir das trotzdem, denn ich wusste nun, den Zwischenzaun in Höhe von 205 cm konnte sie überwinden – den Außenzaun mit 252 cm übersprang kein Hund. Bei mir herrschte Ordnung. Dass ein Hund lustig von Gehege zu Gehege sprang / kletterte fand ich daher nicht so prickelnd. Auch ihr selbständiges Öffnen der Außentüren war eine Herausforderung und wurden zusätzliche Tür-Sicherungen gebaut. Diese nutzten nur kurzfristig etwas, denn SUSI verstand es bald, die Türen trotzdem zu öffnen. So kam es, dass ich nach drei Tagen die Internet-Beschreibung zusätzlich mit den Worten „intelligent, öffnet Türen / Fenster, öffnet Schränke / Schubladen, sehr anhänglich“ ergänzte.
Es wurde immer schlimmer
Ich stellte immer mehr fest, dass SUSI eine ganz besondere Gabe hatte: Sie konnte jedes Schloss öffnen, das ihr begegnete. Es war nicht so, dass SUSI besonders kräftig oder geschickt war – nein, sie hatte einfach einen unerschütterlichen Instinkt, wie man jede Tür und Fenster, egal ob aus Holz, Metall oder Glas, aufbekam.
Mein großes Haus hatte viele Türen und Fenster. Ganz am Anfang merkte ich gar nicht, dass SUSI diese Fähigkeit besaß. Eines Tages jedoch, als ich meinen abendlichen Kontroll-Rundgang machte, fand ich SUSI gemütlich auf einem Polster im Wirtschaftsraum, dessen Tür normalerweise immer verschlossen war. Bei dieser Tür war sogar ein automatischer Türdrücker eingebaut, der die Tür von alleine zudrückte. „Wie bist du denn da reingekommen?“, wunderte ich mich. Zunächst glaubte ich, ich hätte die Tür vergessen zu schließen. Doch das war nicht der Fall. Ich kontrollierte auch die Funktion des automatischen Türschließers. Er funktionierte bestens. SUSI wedelte nur fröhlich mit dem Schwanz und schien meine Verwunderung zu genießen.
In den folgenden Tagen bemerkte ich, dass SUSI immer wieder in Zimmern auftauchte, deren Türen fest verschlossen waren. Sie öffnete die Türen nicht nur mit der Schnauze oder Pfote, sondern manchmal wirkte es fast so, als ob sie einen geheimen Plan hätte. Sie sprang an Türgriffen hoch, drehte sie geschickt und trat die Tür auf, als wäre es das Normalste der Welt. Bald begann SUSI, die Türen im ganzen Haus zu öffnen – sogar die klemmende Hintertür und die verriegelte Haustür. Es war, als wäre keine Tür für sie ein Hindernis. Ich baute sogar extra Schlösser an manche Türen, aber SUSI fand immer einen Weg.
Eines Morgens, als ich in die Küche kam, um Kaffee zu machen, fand ich SUSI, wie sie den Kühlschrank geöffnet hatte. Da lag sie, glücklich kauend, mit einer Packung Wurst in ihrem Maul. Ich lachte zwar, doch langsam merkte ich immer mehr, dass diese Fähigkeit auch ihre Herausforderungen mit sich brachte. Ich versuchte, SUSI davon abzuhalten, wichtige Türen zu öffnen – wie die Haustür, die Tür zum Wirtschaftsraum oder die, die zu meinem Büro führte. Doch SUSI schien ein unglaubliches Gespür für Schlösser und Riegel zu haben. Schließlich gab ich auf und akzeptierte, dass SUSI eben eine besondere Gabe hatte.
OMG ! Ausgesperrt
Der Abend der totalen Sonnenfinsternis war ein besonderes Ereignis in Österreich. Erlebte man sowas doch nur alle paar Jahrzehnte. Meine Familie wollte diese unbedingt von einer Anhöhe aus betrachten und so fuhren sie gesammelt auf einen Berg. Ich blieb alleine bei den Hunden und beobachtete diese geraume Zeit. Es war ein heißer Sommer und ich zog mir im privaten Obergeschoss einen leichten kurzen Pyjama an. Von meiner riesigen Terrasse aus, hatte ich einen wunderbaren Blick auf den Himmel und auf meine Hundegruppen. Das war total spannend. Als die Sonne sich verfinsterte, wurde es absolut still und alle Hunde legten sich hin. Man hörte nicht mal ein Vogelzwitschern. Es war gruselig ruhig.
SUSI war im Laufe des Tages von Rudel 1 über Rudel 2 doch wieder ins Rudel 3 geklettert und hatte mit Hilfe der anderen drei dort lebenden Gäste ein Polster mit Schaumstoff zerlegt. Das weiße Innenleben flog im ganzen Gehege herum. Bevor es sich, durch Wind oder die Hunde, noch weiter verteilte, fand ich es besser, das Fiasko gleich wegzuräumen. Zu diesem Zweck extra in Arbeitskleidung umziehen, ersparte ich mir. Mit entsprechender Energie und Kommandos konnte ich es gut händeln, nicht angesprungen bzw. zerkratzt zu werden.
Gelächter hinter der Tür
So marschierte ich, sehr leicht bekleidet, in das Außengehege des Rudel 3 und widmete mich der Beseitigung des Unrats. Fertig! Ich wollte wieder ins Haus und die Tür war zu. Meine Terassentüren waren damals noch ohne eingearbeitete Türklappen bestückt. Man konnte diese von außen nicht öffnen, wenn der Innenhebel unten war. Da stand ich nun im kurzen Pyjama und weit und breit kein weiterer Mensch im Haus. Ich blickte durch die Tür in das Rudel. Wer saß direkt vor der Türscheibe? Ich schwöre, SUSI hat hämisch gelacht: Öhrchen hoch aufgestellt, fröhlichster Blick, wackelndes Köpfchen, wedelnder Schwanz, das Mäulchen offen und grinsend.
Da stand ich nun halbnackt im Außengehege, versunken in Selbstmitleid, mit einem ebenfalls überaus armen, ausgesperrten Labrador. Ich hatte keine Vorstellung davon, wann denn meine menschlichen Mitbewohner zu meiner Rettung kommen würden. Würde SUSI wieder aufmachen? Sie machte keinerlei Anstalten, sondern lächelte weiterhin, hinter der Terassentür. Sollte ich abwarten oder lauthals um Hilfe rufen? Meine Schreie hätte mein freundlicher Nachbar wohl gehört – war mir aber doch zu peinlich. Eine leicht bekleidete Tierbetreuerin, die hilferufend im Gehege steht, wäre wohl zu einer ewigen Anekdote geworden. Ich entschied, selbst von Gehege 3 nach Gehege 2 zu klettern. Das waren ja nur 205 cm zu übersteigen. Wenn das ein Hund schaffte – dann konnte ich das auch. Gedacht – Getan! Es war schmerzhaft, mit den Füßen (barfuß in offenen Hausschuhen) quer in eine fünf Centimeter breite Doppelstabgittermatte zu steigen und diese so zu überklettern. Mein blutiger Oberschenkel, den ich mir bei der höchsten Stelle zuzog, sah aus, als wäre ich durch Dornen gegangen. Endlich befand ich mich im Außengehege des daneben liegenden Hundegeheges, dessen Fenster - Gottlob - gekippt war. So konnte ich mit der Hand durch das Fenster fusseln, um dann diese Terassentür zu öffnen. Endlich war ich wieder im Gebäude. Seit diesem Erlebnis bezeichnete ich unsere Anlage als „löwensicher“. War man da mal ausgesperrt, kam man schwerlich wieder rein.
Sie war überall und liebte Gesellschaft
In der Zwischenzeit hatte SUSI das Innengitter zum Spielzimmer geöffnet und meine Schönheit lag brettelbreit auf der schwarzen Ledercouch. Ihre beiden anderen Freunde der Gruppe hatte sie auch mitgenommen. Ich holte meinen armen, immer noch ausgesperrten, Labrador wieder rein und alle widerrechtlich im Spielzimmer befindlichen Hunde auch. Jetzt waren sie wieder zu viert – so wie es sich gehörte. Wie kam es, dass das stabile Gitter zum Spielzimmer offen war? Ich konnte unmöglich mit dieser Ungewissheit schlafen gehen, sondern legte mich versteckt auf die Lauer. Ich sah erschreckende Tatsachen:
Erst beobachte ich wie SUSI die Terassentür öffnete. Es war nicht so, dass sie es versuchte, sondern sie öffnete diese gekonnt. Sie nahm tatsächlich den Griff ins Maul, stellte diesen exakt quer und zog dann an. Mit einer Pfote stützte sie sich dabei an der Wand ab. Ein Mensch konnte es nicht besser. Ich beobachtete weiter. Die Gitter zu den einzelnen Gehegen hatten Spezialverschlüsse, dessen Riegel mit einer Feder versehen waren und man mit einer Hand zur Seite ziehen musste. Auch dieses war für SUSI überhaupt keine Herausforderung. Sie zog den Metallhebel perfekt mit den Zähnen zurück um dann das Gitter aufzuziehen. Auch hier: Tierbetreuer konnten das in der gleichen Geschwindigkeit.
Natürlich nahm sie ihre Freunde wieder mit. Nachdem ich alle vier eigenmächtigen Herumläufer der Gruppe nochmals retour führte, legte ich Ketten mit Spring-Schlössern an alle Innengehege. Die Schlüssel dazu versteckte ich in einem anderen Raum, da ich SUSI nun schon alles zutraute. SUSI sah höchst interessiert bei jeder neuen Montage zu. Das Ergebnis sah zwar optisch unmöglich aus, aber man konnte im Spielraum nicht alle Hunde miteinander laufen lassen. Solche Befreiungsaktionen wären mit SUSI möglich. Wenn sie selbst hin- und herspringen wollte – dann sollte sie doch. SUSI war sehr verträglich. Aber sie durfte doch nicht alle Artgenossen rauslassen. Ich hatte gute Gründe, warum ich meine Hunde in Gruppen unterteilte. Wir beherbergten auch weniger verträgliche Gäste und es würden sonst Raufereien passieren.
Dass alle Fenster von ihr ebenfalls geöffnet werden konnten und diese aus dem Stand durchsprungen wurden, brauche ich nicht zu betonen. SUSI konnte selbst gemauerte verflieste Wände mit 210 cm Höhe überwinden. Was erforderlich schien und machbar war, wurde an den folgenden Tagen montiert: Viele stabile Eisenhaken wurden an den unmöglichsten Stellen angebracht. Falls SUSI der Meinung war tagsüber vom Rudel 1 – 2 – 3 – 4, ins Spielzimmer oder die Spielwiese zu klettern und hüpfen, sollte sie doch. Auf die Nachbargrundstücke schaffte sie es aber nicht. Die Kröpfung des über 250 m hohen Außenzauns und in die hoch abgemauerten Quarantäne- und Krankenstationen waren für keinen Hund zu bewältigen.
Nach Tagen hatten wir uns arrangiert: Natürlich hätte ich meine sportliche Ein- und Ausbrecherin in den überdachten Sommerzwinger oder in Kranken- oder Quarantänestation versperren können. Hätten wir da noch zusätzliche Ketten gelegt, käme sie aus diesen Bereichen bestimmt nie raus oder drüber. Das wollte ich aber nicht, weil SUSI gesund / unverletzt war und wie es die Begriffe "Krank" und "Quarantäne" schon sagen, hatten dort gesunde Tiere nichts verloren. Nur im äußersten Notfall wich ich, bei Überbuchung, mit gesunden Tieren kurz in diese Bereiche aus. Weiters war es dort langweilig und daher wesentlich aufwändiger Tierchen so einzeln zu betreuen.
So kam es, dass ich SUSI tagsüber meist mit meinen vier anderen privaten Hunden (Schäfer, Basset, Hovawart und Labradormix) zu mir ins Büro oder bei der Gartenarbeit mitnahm – das funktionierte am besten. Ob vier oder fünf sogenannte "Freiläufer" war dann auch schon egal. Kamen Kunden, konnte ich SUSI mit meinen anderen Privathunden kurzzeitig in einen der überdachten, kleinen Liegezwinger – samt Kette und Zusatzschloss - ins Büro sperren. Sie lernte sehr schnell das Kommando "Kabäuschen" - das hieß: "Geh in die 1,5 x 1,5 m große und 2 m hohe - oben geschlossene Box". Es war zwar in den zwei Büro-Kabäuschen für insgesamt fünf größere Hunde etwas eng, aber war selten erforderlich und dauerte ja immer nur wenige Minuten. Die von SUSI geöffnete Kühlschranktür und Schubladen schloss ich im Vorbeigehen hin und wieder automatisch. Irgendwann war es für SUSI wohl doch zu wenig spannend, dass sie den Quatsch des "Kasten-Ausräumens" unterließ und lieber mit Artgenossen und Hundespielzeug spielte.
Studien von Wölfen kamen mir in den Sinn. War es tatsächlich so, dass diese allein durch Beobachtung des Menschen, Aufgaben dann selbst lösen konnten? Bei den Terassentüren, Schlüsseln, allen waagrechten Türgriffen und Schubladen dürfte sich das SUSI wohl schon von dem Vorbesitzer abgeschaut haben. Das Öffnern unserer Spezialverschlüsse bei den Innengittern und Schlüsseldrehen hatte sie wohl bei mir erlernt.
Die erste Vergabe entwickelte sich zum Desaster
Nach drei Tagen des Aufenthaltes kam SUSI auf der Homepage aktiv in die Vergabe und es meldeten sich für diesen Traumhund erwartungsgemäß schnell unzählige Interessenten. SUSI war wunderschön, wohlerzogen, bellte fast überhaupt nicht, war sehr stubenrein, hundefreundlich, kinderlieb und machte nichts kaputt. Sie war eine sehr liebe vergabefähige Dame, mit besonderem Interesse an Schlössern aller Art. Deswegen wollte ich mir diese Hündin noch ein paar weitere Tage ansehen und hielt die Interessenten-Anfragen beantwortet in Evidenz. Aus den paar Tagen wurden zwei Wochen.
Über die Hälfte der Interessenten kamen leider überhaupt nicht in Frage. Mit manchen telefonierte ich und gab andere Empfehlungen. Viele Ersthundehalter unterschätzten es, einen solch intelligenten Hund zu besitzen. Ein großer schlauer Hund in einer kleinen Mietwohnung, wenn man ganztägig berufstätig ist und noch keinerlei Erfahrung hat? Als Verkäufer eines Hundes konnte man nicht dafür garantieren, dass sich der Hund im neuen Umfeld so zeigte, wie bei mir im Haus. Als Beispiel: Was würde passieren, wenn der Hund vielleicht doch bellt, weil er allein gelassen wurde?
Endlich dachte ich, das passende Heim gefunden zu haben: Ein hundeerfahrenes Ehepaar mit freistehendem Haus, einem weiteren Hund und hoch eingezäuntem Garten, wo immer jemand Zuhause war. Ich telefonierte sehr lange und sagte den Interessenten offen alles, was ich von SUSI wusste und was ich selbst erlebt hatte. Natürlich sprachen wir auch intensiv über die Geschichten mit den Fenstern, Türen und Kästen aller Art. Bei der Besichtigung zeigte sich SUSI perfekt. Die Familie war begeistert und nahm SUSI gleich mit.
Drei Tage später: Am Nachmittag erfolgte der spektakuläre Anruf: "SUSI muss auf der Stelle wieder weg". SUSI wäre die ersten zwei Tage total brav gewesen und sie hatten sich sehr gefreut, so eine schöne, gutmütige Hündin bekommen zu haben. Da die neue Besitzerin mit ihrem Kind zu Arzt gehen musste, ließ sie SUSI samt ihrem Zweithund nur zwei Stunden alleine. Als sie zurückkam, war ihre Terassentür offen und SUSI im Garten "lachend und schmutzig" auf der pastellblauen Hollywood-Schaukel, neben einem tiefen Loch im Rasen, gelegen. Das war ja nicht das eigentliche Drama, denn die Schaukel hätte man säubern können und das Loch wieder mit Erde füllen. Schlimm war, was SUSI im Haus anstellte: Sie hatte die dicke Holz-Haustür völlig demoliert und ganze Stücke sogar rausgebissen. Im ganzen Haus (Ober- und Untergeschoss) waren alle Innentüren geöffnet und teils angebissen und zerkratzt. Die Ledercouch war völlig hinüber, die Vorhänge und Stores runtergerissen, Fenster geöffnet, manche Schubladen ausgeräumt und der teure Teppich durchlöchert. In der Küche hatte sie gewütet und insgesamt einen geschätzten Schaden in Höhe von über € 20.000,00 verursacht. Diesen Betrag wollten sie uns in Rechnung stellen und drohten das ggf. mit Rechtsanwalt einzuklagen. Natürlich ist solch eine Forderung sinnfrei, da sie den Hund kauften und rechtmäßiger Eigentümer waren. Wir hatten SUSI nicht auf Probe vergeben und meine Versicherung hätte das deswegen nicht bezahlt. Ich konnte mich nur vielmals entschuldigen, den Kaufpreis von SUSI komplett zurück zahlen und die Hündin sofort wieder aufnehmen.
SUSI kam wieder zurück
Da war sie wieder, „mein“ hübsches superschlaues Mädchen, und freute sich sichtlich - aus ihrer Sicht - wieder „daheim“ zu sein. Mir wurden die wahren Abgabegründe des ursprünglichen Besitzers immer klarer. SUSI suchte Anschluss, wollte wohl überhaupt nicht alleine sein oder schon gar nicht eingesperrt werden. Wie sollten wir solch einen Hund denn vermitteln? Es war mir immer wichtig mit Interessenten offen zu kommunizieren. Manche andere Käufer meiner Tierschutz-Hunde meinten im Nachhinein, ich hätte viel zu „schwarz“ gemalt. Der jeweilige Hund wäre kein Problem gewesen. Aber lieber man zeigte drastischer die möglichen Baustellen auf – als umgekehrt. Alles andere machte wenig Sinn. So herausragend schön SUSI war - so herausfordernd war auch ihr Charakter.
Da war doch noch wer ....
Beim Blättern in meiner Evidenzliste fand ich für SUSI eine Groß-Familie mit Bauernhof. Zwischen den vielen Bewerbern, hatte ich sie in der engeren Wahl gehabt. Könnte es dort funktionieren? Es folgte ein langes Telefonat. Ich schilderte unverblümt den argen Unfug, den die Hündin in ihrem kurzen anderen Zuhause getrieben hatte. Ich las den Interessenten sogar den fordernden Brief der Ex-Besitzer vor, der eine lange Auflistung des entstandenen Schadens beinhaltete. Käme denn die Hündin immer noch in Frage? „Ja – unbedingt! Wir kommen gleich morgen und holen sie! Bei uns stehen sowieso immer alle Türen offen und Perserteppiche haben wir nicht.“, war die Antwort. Man spürte ihre immense Freude schon durch den Telefonhörer.
Zur Abholung erschien ein kleiner Teil der Großfamilie. In dem Haus dürften wohl mehrere Generationen (von der Oma bis zum Ur-Ur-Enkel) leben. Mehr als fünf Personen passten nicht in den Kombi und in den Kofferraum sollte SUSI. Ich bestand darauf, auf dem Kaufvertrag eine einwöchige Probezeit zu vereinbaren. Etwaige Schäden wären hier durch meine Versicherung gedeckt. Wer weiß, ob SUSI wieder Quatsch treiben würde und ich wollte nicht nochmals einem Käufer finanziellen Schaden zufügen. Die neuen Besitzer meinten – sie würden jetzt schon sehen, dass das nicht erforderlich wäre. Sie würden mit SUSI ganz bestimmt zurechtkommen.
Sobald man ein Tier kaufte, gehörte es einem natürlich auch. Ich hatte keine Rechte etwas zu fordern. Aber ich teilte der Familie eindringlich mit, dass ich mich über eine Rückmeldung spätestens in zwei Wochen sehr freuen würde. Was würde diese superschlaue Hündin wohl dort anstellen, wenn sie denn da überhaupt Unsinn machen würde? Nachdem ich auf SUSI´s Eigenheiten eingegangen war und sie in meinem privaten Rudel mitlief, verhielt sie sich bei mir wirklich super brav. Ich kam gut mit ihr klar. Vielleicht kämen diese Interessenten tatsächlich auch mit SUSI zurecht.
Die Tage vergingen. Ich wartete ständig auf ein Telefonat mit einer schlimmen Rückmeldung. Nach zwei Wochen hatte ich einen Scherzbold in der Leitung: „OMG ! Wos hobts ma denn do´ für a Viecherl gebn“. (Übersetzt: Was habt ihr mir denn da für ein Tier gegeben) Es stockte mir der Atem – was hat mein "weißes Waschpulverchen" denn schon wieder getrieben? Der Bauer lachte und meinte, er wolle mich nur „pflanzen“ (Übersetzt: einen Scherz machen). Sie hatten überhaupt kein Problem mit SUSI. Sie wäre total brav, passte auch auf ihre Schafe auf, rannte leinenlos mit ihnen bei der Waldarbeit mit, half sogar toll beim Kühe treiben, hatte überhaupt nichts kaputt gemacht, spielte lieb mit den Kindern, lief nicht weg, schlief nachts gerne neben ihrem Enkelkind, sie hatten und brauchten keinen Zaun am Hof …. es gab überhaupt keine Probleme. Einmal hatte es eine Auseinandersetzung wegen dem Kühlschrank gegeben, aber das Thema hatten sie mit einem speziellen Sperrschloss und einer scharfen Ansage an SUSI schnell in den Griff bekommen.
An einem Tag hatte sich die Begabung von SUSI sogar als nützlich erwiesen. Der Bauer war bei sehr stürmischem Wetter noch in den Schafstall gegangen. Die alte Holztür war zugefallen und der Holzriegel ins Schloss gesprungen. Der Bauer rüttelte am Tor und es ging nicht mehr auf. Der Bauer hatte sich selbst eingesperrt und rief nach Hilfe. Es dauerte nicht lange und das Tor öffnete sich. Nicht ein Mensch, sondern SEINE Hündin hatte ihn gehört und stand fröhlich wedelnd vor dem Eingang des Tors. Ich wusste: Ins Schloss gefallene Riegel waren für SUSI keine Herausforderung. Er war sehr stolz auf SUSI und es gab ein Stück Extrawurst. Der Tenor war: "Mir san echt froh, so a liabes, gscheites Dirndl zu hobn" (Übersetzt: Wir sind sehr froh so ein liebes, kluges Mädchen zu haben).
Irgendwann findet jeder "Topf seinen Deckel.“ Der Spruch hatte sich hier – wie so oft – bewahrheitet. SUSI war eben eine freiheitsliebende, neugierige, kluge Diva. Im (aus ihrer Sicht) richtigen Zuhause benahm sie sich wie die perfekte Hündin. Beim Bauern fühlte sie sich augenscheinlich sehr wohl. Und so lebte SUSI glücklich mit ihrer neuen Familie weiter, immer auf der Suche nach der nächsten Tür, die sie öffnen konnte – sei es ein verschlossenes Tor oder eines zu einer neuen Rettungsaktion.
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